Gegenwärtig diskutiert die Evangelische Kirche im Rheinland das Pfarrbild: Was sind die Aufgaben der Pfarrerinnen und Pfarrer im Zusammenspiel aller wahrzunehmenden kirchlicher Aufgaben und aller dort agierenden Professionen? Schon das Urchristentum überlieferte neben dem Taufbefehl auch den Unterrichtsauftrag (Mt 28,20). Die Reformatoren haben dies zum Beginn der Moderne bekräftigt bzw wiederentdeckt. Im aktuellen Diskussionspapier der EKiR wird „Bildung“ dementsprechend als 3. Kernaufgabe (neben Verkündigung, Seelsorge, Diakonie und Leitung) genannt:
„Die Unterstützung von Bildungsprozessen ist von Jesu Auftrag und vom Erbe der Reformation her konstitutive Aufgabe des Pfarramtes. Diese Aufgabe stellt sich gegenwärtig verschärft angesichts des viel beschriebenen Traditionsabbruches und der Krise in der Vermittlung von Glaubenswissen. Bildungsorte sind Kindertageseinrichtungen, Schulen, Konfirmanden- und Jugendarbeit, themenorientierte Freizeiten und Klassenfahrten, öffentliche Vorträge, Kurse zum Glauben oder die Bildungswerke.Die Aufgabe umfasst nicht nur die Initiierung von Bildungsprozessen und die Förderung der Entwicklung personaler Kompetenz, sondern auch die Vermittlung von biblischen Einsichten und evangelischen Positionen in gesellschaftliche Zusammenhänge, zum Beispiel in der Stadtteilarbeit oder beim Engagement in Bürgerbewegungen. Jugendleiter und ehrenamtliche Ex-Konfis gestalten die Konfirmandenarbeit mit, pädagogische Fachkräfte leiten Mutter-Kind-Gruppen oder bieten Veranstaltungen der Erwachsenenbildung an.“
(Zeit fürs Wesentliche – Perspektiven auf den Pfarrberuf in der Evangelischen Kirche im Rheinland. 1. Diskussionsentwurf lt. Beschluss der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 5.7.2013. Download von: http://www.ekir.de/www/downloads/ekir2013-07-05perspektiven_pfarrberuf.pdf, S. 13.)
Konkrete Orte kirchlicher Bildungsarbeit werden hier genannt. Aber: wichtige Orte unserer Kinder und Jugendlichen der Gegenwart kommen dabei nicht vor: Soziale Netzwerke, Communities etc. im web 2.0. Als digitaler Immigrant versuche ich in dieser Welt am Ball zu bleiben und zu verstehen, wie diese Netzwerke funktionieren. Aber nur einen Bruchteil kann ich selber aktiv betreiben. Für unsere Kids gehört aber all dies ganz selbstverständlich zum Alltag und erweitert deren kommunikativen und sozialen Kompetenzen. (Sorgen müssen wir uns vermutlich ehr um diejenigen machen, die sich nicht an den sozialen Netzen im Netz beteiligen.) Zum neutestamentlichen Unterrichtsauftrag „…lehret sie…“ gehört aber noch eine weitere Aufforderung: „…geht hin…!“ (Mt 28, 19).
Was bedeutet das für die Orte kirchlicher Bildungsarbeit? Denn es sind nicht nur Orte und Angebote kirchlicher Bildungsarbeit angedeutet, sondern auch eine Bewegung (oder besser Nicht-Bewegung?): Warten wir also an unseren Orten darauf, dass die Menschen mit ihren Bildungsbedarfen zu uns kommen? Was aber, wenn sie woanders hingehen? Dort hören sie ja nicht einmal mehr das Stöhnen aus unseren Räumen, dass niemand mehr kommt 😉
In dem Unterrichtsauftrag gibt es noch eine weiterführende didaktische Anweisung: „…ich bin bei euch alle Tage…“ Kirchliche Bildungsarbeit ist immer Beziehungsarbeit und das ist auch gut so. Vermutlich waren genau deswegen die Online-Seminare auf rpi-virtuell ein Erfolgsmodell im Vergleich zu vielen anderen Angeboten. Dennoch wird mit dem Hinweis auf die Bedeutsamkeit der Beziehungsarbeit häufig noch die Ablehnung aller Formen des Online unterstützten Lernens im kirchlichen Kontext begründet. Dabei wird ohne eigene (und bessere) Erfahrungen konstruiert, dass Beziehung nur face-to-face oder hilfsweise in einem Klassen- oder Seminarraum aufgebaut werden könnte. Man gibt sich ortskundig: „Computer-vermittelte-Kommunikation“ reduziere Kanäle, beschränke die Wahrnehmung usw.. Und dann schaue ich auf die Kids und stelle fest, da wird nichts reduziert. Sie leben, wie wir auch und haben sich zusätzliche Kanäle geschaffen und in ihr Leben integriert. Und PCs sind dabei eigentlich längst out – smart muss es sein…
War das immer schon so, dass die Väter ihre Kinder vor etwas schützen wollen, was die Kinder schon längst erobert haben? „Die Fehler der Väter werden sich rächen an den Kindern und Kindeskindern bis ins sonundsovielte Glied“, sagt das Alte Testament und eigentümlicherweise ist da noch nicht an die Ignoranz der Altvorderen gedacht….
„und lehret sie …“ – Beziehung und Bildung von Frank Wessel ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.