Qualität hat ihren Preis – so hielt es Stuttgarter-Zeitung.de in einem Kommentar am 9. 4. 2013 fest. Es ging um die Online-Zweige renommierter Zeitungen weltweit und deren Finanzierbarkeit; Fazit: “Qualität hat ihren Preis. Aber es muss sich jemand finden, der sie liefert – und jemand, der bereit ist, dafür zu bezahlen.”
Im wirtschaftlichen Bereich scheint dieser Zusammenhang plausibel: Nur Qualität lässt sich verkaufen. Welche Implikationen das birgt, fällt mir weiter unten ein. Die Forderung von Qualität wird aber im Land der Dichter, Denker, Erfinder und der Wertarbeit immer wieder zu einem scharfen Einwand, wenn es um Open Educational Resources geht. Gedanken des Teilens, des Kooperierens und des Schenkens werden misstrauisch beäugt, ob dabei auch qualitativ Hochwertiges herauskommen kann. Nun liesse sich theologisch weit ausholen und an Schöpfung und Geschenk erinnern; oder an die menschliche Kreativität als Teil der theologischen Anthropologie. Aber hier bleibe ich lieber bei (m)einer Strassencafe-Philosophie:
Ein Gedanke: An die Behauptung und Folgerung “gut also teuer” haben wir uns gewöhnt. Das Label “Made in Germany” ist und war Garant für Qualität und Preis. Die Verneinung dieser Behauptung: “nicht gut also nicht teuer” ist absurd, weil sie unseren Erfahrungen absolut widerspricht: Wie oft habe ich schon viel Geld für Schund ausgegeben. Deutlicher wird dies noch, wenn ich die Behauptung umkehre: “teuer also gut”. Das stimmt einfach nicht, dafür braucht es keine weiteren Belege. Spannend wird es aber, wenn ich diese umgekehrte Behauptung auch noch verneine: “nicht teuer also nicht gut”! Wenn dies lediglich pekuniär gemeint ist, bin ich damit bei der Kehrseite der Behauptung alle Qualität hätte ihren Preis. Und damit bin ich auch mitten drin in einer Diskussion um OER, wo die Frage nach der Qualität nach vorne geschoben wird und damit zum vermeintlichen Gegenargument gegen OER etabliert wird.
Noch ein Gedanke: Unseren Kindern habe ich, als sie klein waren, intensiv ans Herz gelegt, nichts von fremden Menschen anzunehmen (nicht teuer). Nicht gesagt habe ich den Kleinen, dass dann möglicherweise nichts Gutes rauskommen könnte – aber ich glaube, sie haben das geahnt. In den nächsten Wochen werde ich versuchen herauszubekommen, ob sie diese schlichte (und wer weiß, vielleicht überlebenswichtige) Behauptung mittlerweile ausreichend differenziert betrachten können 😉 Ob sich aus diesem schlichten elterlichen Erziehungsversuch bei den Menschenkindern die Idee ergibt, Kostenfreies könne schlecht oder gar schädlich sein?
Und noch ein Gedanke: J. – eine meiner Lieblingskolleginnen – hat immer gesagt, dass wir die Online-Seminare auf keinen Fall kostenlos anbieten sollten. Sie vermutete auch, dass kein Preis zu teuer sein würde (unabhängig von allen notwendigen Kalkulationen). Denn mit dem Preis steige die Qualitätsvermutung auf Seiten der Kunden und zugleich möglicherweise auch die Hemmung auf Einforderung fehlender Qualität. Nun haben wir Qualität abgeliefert und unsere TeilnehmerInnen auf gar keinen Fall abgezogen, aber in der Tendenz hat sich J’s Einschätzung über den Zusammenhang von Qualität und Preis bewährt.
Diese Gedanken bilden meinen Verstehenshorizont für die Diskussion um OER und Qualität: Qualität hat ihren Preis! Das gilt sicherlich auch für qualitativ hochwertige (Unterrichts-) Materialien, die mit passenden Lizenzmodellen als OER zur Verfügung gestellt werden. Optimalerweise hat jemand mit Herzblut einiges an Kompetenz, Kreativität, Hirnaktivität und Lebenszeit investiert, um etwas wirklich Gutes zustande zu bringen. Manche – andere – Leute werden sogar dafür bezahlt, um an Schulen, Instituten oder Akademien gute Materialien zu entwickeln. Stellt sie/er diese Materialien z.B. seinen KollegInnen zur Nutzung und Weiterentwicklung Verfügung, wird niemand behaupten: “nicht teuer also nicht gut!” Vielmehr werden die KollegInnen “Danke!” sagen und/oder denken, dass sie überhaupt nichts mit diesem Material des geschätzten Kollegen anfangen können. Aber wenn sie an dieser oder jener Stelle Ergänzungen oder Änderungen vornehmen dürften, ohne sofort mit dem Urheberschutzrecht in Konflikt zu geraten, wäre alles gut und vielleicht z.B. ein Nachmittag oder gar eine Unterrichtsstunde gerettet (s.o.: Schöpfung und Geschenk).
Aber das Gerücht hält sich hartnäckig – oder soll man annehmen, es wird von wechselnden Akteuren mit unterschiedlichen Motiven hartnäckig platziert: Qualität hat ihren Preis! Und das ist wieder pekuniär gemeint. In einer hochkarätigen IT-Konferenz während der letzten Tage echauffierte man sich über eine Fehlkalkulation hinsichtlich der Folgekosten bei der Nutzung eines kommerziellen Computer-Betriebssystems. OpenSource-Lösungen dagegen, die möglicherweise Kosten reduzieren könnten, wurden erwähnt, aber ablehnend beurteilt, weil man gehört hatte, sie seien unsicher und weil “die User” sich nicht umgewöhnen wollten.
Auch eine Kommission, die sich mit Bildungsfragen beschäftigt, betont bei einer Zuwendung zu OER im eigenen Hause müsse die Qualität beachtet werden. Wohl wahr, aber eigentlich kein Widerspruch gegen den Gedanken, dass gute Materialien auch gerne weitergegeben werden sollten. Dies gilt erst Recht, wenn die/der UrheberIn doch für die Entwicklung schon bezahlt wird. Im übrigen lassen sich mit entsprechender Lizensierung auch OER-Materialien noch z.B. durch Verlage vertreiben. Bedenken könnten lediglich dort entstehen, wo sich erleben lässt, dass Veränderungen an Materialien nicht notwendig zur Verbesserung beitragen. Dann steht der eigene gute Name in der Lizenz – da bedarf es sicherlich einiger Präzisionen.
Mein Strassencafe-Philosophen-Fazit wäre also: “Qualität hat ihren Preis. Dieser Preis muss nicht pekuniär ausgehandelt werden, wenn jemand davon überzeugt ist, dass Tauschen und Schenken wertvoll sind. Dann gibt es auch jemanden, der bereit ist, solche Qualität zu akzeptieren.”
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