Zufälle gibt’s: Mit den Schülern der Neun bearbeite ich die Auferstehung und dann kommt Andreas Mertin zur Fortbildung ins Schulreferat und führt uns in die Welt der Christus- und Menschenbilder in der bildenden Kunst ein. Auf seiner Zielgeraden verweist er auf den amerikanischen Video- und Installationskünstler Bill Viola und seinen Kurzfilm „Emergence“.
Auf der Suche nach diesem Kurzfilm finde ich, dass Viola christliche Darstellungen präzise analysiert und dabei insbesondere auf Gestik und Mimik achtet. Mit seinen experimentellen Filmen in extremer SlowMotion versucht er, dies als Wechselspiel und Aneinanderreihung von Gefühlsausdrücken darzustellen.Die Grundlage für seinen Film „Emergence“ bildet die Pietà von Masolino da Panicale (ca. 1383 – 1440) aus dem Jahr 1424. In der Gegenwart können unsere Schüler der späten Sek. I in der Lage sein, die Ikonographie dieses Bildes zu entschlüsseln und zu einer Bildkomposition zusammenzufügen. Dann eröffnet sich die innere Dynamik dieses Werkes als Bewegung von oben nach unten, die in die Gegenbewegung von unten nach oben aufgeht.
Masolino da Panicale seinerseits hat dieses Werk „Pieta“ genannt hat. Damit bleibt es bei der Bewegung von oben nach unten in das Grab. Maria und Johannes legen den Gestorbenen ins Grab und beweinen ihn. So geht der Künstler einigermassen frei mit Mt 27, 61 als Teil der Grablegungserzählung um: „Es waren aber dort Maria von Magdala und die andere Maria; die saßen dem Grab gegenüber.“ Auch das erklärt den Titel „Pieta“. Ob der Künstler in noch größerer Freiheit auch Mt 28, 1ff – die Auferstehungserzählung – gemeint hat, muss offen bleiben.
Bill Viola hat diese Dynamik in seiner Adaption der Pieta vollständig umgedreht:
In seinen Erläuterungen im Making of lüftet er sein Anliegen: Bliebe es bei der Grablegung, würde er – gedanklich – den Deckel drauf machen und es vergessen. Das überfliessende Wasser symbolisiere aber den Ursprung allen Lebens und letztlich eine Geburt. In seiner Darstellung sind es nicht Maria und Johannes, sondern zwei Frauen, beinahe wie Hebammen.
Von dort mache ich den Sprung zurück zu meinen Schülern: „Was will der Künstler mit dieser Perfomance ausdrücken? Welche Deutung von ‚Auferstehung‘ drückt sich darin aus?“
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