Der Traum vom Paradies
Historisch-kritisch betrachtet, ist die Erzählung vom Paradies zu einer Zeit entstanden, als sich das Volk Israel während des babylonischen Exils eine bessere Welt erträumten. So gesehen hat das Internet seine besseren Zeiten noch vor sich, auch wenn es aktuell schon himmlisch erscheint:
Informationen, Bilder, Musik, Filme, Spiele, Kommunikation, Kooperation und noch vieles mehr in Hülle und Fülle; für jeden Geschmack ist das Passende dabei – wenn man auch manchmal den Eindruck bekommt: je abwegiger der Geschmack, desto besser wird er im Internet bedient 😉 Und das Schönste dabei: die Eintrittskarte für dieses Paradies bezahle ich mit der monatlichen Gebühr für meinen Internetzugang – scheinbar….
Die Wirklichkeit ist leider nicht mehr so himmlisch; denn eigentlich zahle ich mit jedem meiner Mausklicks in eine (den meisten unbekannte) Währung ein. Mit jedem Klick gebe ich „dem Netz“ (halten wir es vorerst mal so allgemein) ein kleines bisschen Daten von mir bekannt. Aber unter dem Stichwort „BigData“ werden diese Informationen von unglaublich vielen Surfern sorgsam zusammengetragen: Anhand einfacher und längst bekannter Abfragen holen sich Anbieter von Internet-Seiten Informationen über ihre Nutzer. Diese Abfragen erfahren z.B., welchen Prozessor mein PC hat, wie groß der Bildschirm ist, welches Betriebssystem läuft und mit welchem Brower ich arbeite. Der Test auf IP-Check zeigt, was das alles sein kann: http://ip-check.info/?lang=de
Wenn ich genug solcher Informationen miteinander kombiniere, ist es möglich, jeden PC – bessser: jedes Device, also Endgerät – auf der Welt (!) eindeutig (!!) zu identifizieren. Wenn ich dann dieses eindeutig identifizierte Gerät z.B. mit den Suchanfragen oder den Themen der angesurften Seiten kombiniere, kann ich ein recht detailiertes Bild entwickeln und bei ausreichend hoher Informationsdichte auch unterscheiden, welcher Nutzer gerade zu Werke ist. Dieses Bild wird mit jedem Mausklick im Web noch immer präziser. Weil so etwas jede Sekunde unglaublich viel Informationen zusammenträgt, braucht es dazu nur ziemlich große Serverfarmen. Jaron Lanier nennt diese in seinem Buch „Wem gehört die Zukunft“ Sirenenserver:
„Sirenenserver sammeln Daten im Netzwerk, für die sie meist nichts bezahlen müssen. Die Daten werden mit den leistungsfähigsten Computern analysiert, die von Spitzenkräften gewartet werden. Die Ergebnisse der Analysen werden geheim gehalten, aber dazu genutzt, die übrige Welt zum eigenen Vorteil zu manipulieren.“ (Lanier, S. 88.)
Die Datenpakete der Ergebnisanalysen werden zu einer Handelsware, ohne das wir es merken. (Ich weiß nicht mehr, wo ich den Wert solcher Datensätze fand; ich meine es waren bis zu 10,- € pro Person und Datensatz…) Deswegen springen einem auf mittlerweilen fast allen Seiten die passenden Werbebotschaften entgegen und auch die Auswertung neuer Informationen (anhand meiner Klicks) führt unmittelbar zur Optimierung der ausgelieferten Werbung. Sichtbar wird das, wenn ich ein kleines Tool wie z.B. Ghostery als AddOn in firefox installiere. Dann wird angezeigt, wer beim Ausliefern einer angefragten Internetseite welche zusätzlichen Werkzeuge mitliefert. Auf spiegel-online waren es z.B. am Freitag, 20.2.2015 „nur“ sechs: Adition (Werbung), Criteo (Werbung, Search), Google Analytics (Analytik), INFOnline (Analytik), Meetrics (Analytik), The ADEX (Werbung) und überraschender Weise keine Cookies oder – sonst ganz lecker – Beacons. So viel Verbraucherinteresse wird ausserhalb des Internet wohl nirgends abgefragt. Erstaunlich auch, dass bei dieser Session Criteo und Adex gar nicht erst auftauchen, wenn ich Ghostery einschalte – woher bekommen die die Info, dass sie gar nicht erst anklopfen müssen, weil Ghostery sie blockieren wird?
Ist also das web gratis? „WC“ sagte der alte Mann dann immer gerne 😉 Zu ahnen ist, dass schon hier ein Krieg mit leichten Waffen dahinter steht: Die Analytics, Beacons, Cookies, Werbung etc. werden immer raffinierter entwickelt, deren Abfrage erweitert und die Unsichtbarkeit für Ghostery und Co. verbessert. Und Ghostery rüstet ständig nach, indem sie die Schliche der Anderen untersuchen. Und noch gar nicht ist an die Raffinessen anderer gedacht, denen überhaupt nicht daran liegt, dass jemand erfährt, wie und warum sie die Daten mitlesen und speichern möchten…
Gratis ist das web also nicht. Jaron Lanier schlägt deswegen vor, das ganze umzudrehen: die kleinen Informationen, die ich preisgebe, werden mir entlohnt und dafür bezahle ich all das, was mir bis jetzt (auch nicht) kostenfrei angezeigt wird.
Meine Daten gehören mir?
Was in der Prävention für den menschlichen Körper gilt, gilt also längst nicht für einen Teil meiner Daten. Offensichtlich ist es so, dass ich mich mit der Nutzung des Internet darauf einlasse, dass Nutzungs- und Nutzerdaten über meinen PC und damit letztlich über mich gespeichert und von anderen weiterverarbeitet werden. Man stelle sich vor: Der Herren-Oberbekleidungs-Einzelhändler meiner Wahl macht ohne mein Wissen Photos davon, wie ich den neuen Mantel anprobiere und druckt sie in den nächsten Werbebroschüre. Die anschließende Klage macht vielleicht mich reich und ihn arm… 😉
„Sie behalten alle bestehenden gewerblichen Schutzrechte an den Inhalten, die Sie in unsere Diensten einstellen. Kurz gesagt: Was Ihnen gehört, bleibt auch Ihres.
Wenn Sie Inhalte in unsere Dienste hochladen oder auf andere Art und Weise in diese einstellen, räumen Sie Google (und denen, mit denen wir zusammenarbeiten) das Recht ein, diese Inhalte weltweit zu verwenden, zu hosten, zu speichern, zu vervielfältigen, zu verändern, abgeleitete Werke daraus zu erstellen (einschließlich solcher, die aus Übersetzungen, Anpassungen oder anderen Änderungen resultieren, die wir vornehmen, damit Ihre Inhalte besser in unseren Diensten funktionieren), zu kommunizieren, zu veröffentlichen, öffentlich aufzuführen, öffentlich anzuzeigen und zu verteilen.“
(Aus den Nutzungsbedingungen: https://www.google.com/intl/de/policies/terms/)
Wenn ich also die süssen Babyphotos meiner Kinder hier hochlade, könnte ich sie demnächst an anderen Stellen wiederfinden… Der Vergleich mit einer Krake ist also noch freundlich, das ist schon ein ganz ungeheurliches Monster. Die Möglichkeiten der unerlaubten und -gewollten Verfielfältigung und Nutzung potenzieren sich natürlich noch an solchen virtuellen Orten der Social Media, wo nicht der Betreiber, sondern die Nutzer ohne Rücksicht auf Datenschutz (oder auch nur „Anstand“ – aber das ist old fashioned und die Forderung naiv) Daten, also Texte oder noch lieber Bilder oder Clips, weiterreichen. Copy&paste macht es möglich.
Und auch hier denke ich noch nicht an Nationale Späh Agenturen und andere, die einfach alles mitlesen – siehe oben: BigData. Die Antwort also auf die Frage: „Wem gehören meine Daten?“, nach Art von Radio Eriwan: „Mir. Im Prinzip…“
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